Ich war nie der Meinung, dass ich sonderlich eitel wäre. Und dann nahm mir Krankheit die Schönheit ...
CN: Krankheit, Bewertung von Äußerlichkeiten, Depression, Thematisierung von Mobbing, Alterungsprozess, Ernährung, Selbsthass, Medikamente
Schon früheste Erinnerungen handeln davon, wie Leute mir (ungefragt) sagten, dass ich ein hübsches Mädchen wäre. Mein eigener Umgang damit war mir daher selbstverständlich vorgekommen. Als
jüngstes Enkelkind, als einzige Tochter im Haus – es erschien mir normal, wenn ich gehätschelt und komplimentiert wurde.
Dann impfte mir Erziehung Demut ein, die Pubertät brachte ihre beste Freundin Unsicherheit mit, ab der 7. Klasse war ich plötzlich nicht mehr unter Leuten, die ich schon seit der Krabbelgruppe
kannte und die nicht müde wurden, mir zu verdeutlichen, dass ich hässlich wäre. So ward ich 14, glaubte ihnen und hasste Fotos, hasste den Spiegel, sah, blickte ich in mein eigenes Gesicht, die
Pickel, die Rötungen, die Augenringe. Es verschobenes Paket des Gesamten, das an sich keinen Sinn ergab und auf keinen Fall attraktiv sein konnte.
Mein 18. Geburtstag stand ins Haus und ich hatte von heute auf morgen die Nase voll davon, mich so zu fühlen. Denn mir wurde klar: Willst du dich echt den Rest deines Lebens hässlich
finden?
Seitdem herrschte eine seltsame Mischform des Findens, des Sich-selbst-Empfindens, vor. Menschen, die mich mochten, sagten mir oft, wie schön ich wäre, doch ich tat es damit ab, dass sie es ja
mussten, vor allem wenn sie mit mir schlafen wollten.
Leute, die mich hassten, sagten mir, ich sei hässlich, auch das tat ich ab mit: Das müssen sie ja denken, ich fand sie ja auch hässlich.
Und so verbrachte ich die Jahre, fand mich manchmal unwiderstehlich, meistens nach einer durchschriebenden (oder durchtriebenen) Nacht, meistens aber durchschnittlich.
Heute weiß ich, dass ich privilegiert und attraktiv genug war, dass es mir egal sein konnte, wie ich aussah. Dass ich meistens gut behandelt wurde, weil ich normschön genug war. Mein Anblick
erfreute die meisten, die mich betrachteten, ein Gedanke der die Feministin in mir hätte zum Kotzen bringen können – wäre ich nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen, im Patriarchat möglichst
unbeschadet davon zu kommen.
Dann kam die Krankheit. Oder besser, das, was vermutlich seit meiner Kindheit in mir schlummerte, ließ sich nicht mehr unterdrücken. Es zerstörte mein Immunsystem, meinen Stoffwechsel, die
Fähigkeit meiner Zellen überhaupt Nährstoffe aufzunehmen. Zum Glück fand ich Hilfe, Mediziner*innen, die davon schon einmal gehört hatten, die Geräte und Methoden hatten, um in meine Zellen zu
sehen. Und mir zu sagten, wie ich all das aufhalten könnte. Vielleicht.
Ich bekam ein halbes Jahr lang Tabletten und Präparate, die meinen Zellen halfen. Die es nicht egal machten, ob ich am Tag nur 1 Salatkopf aß oder 3 Tafeln Schokolade. Anfangs waren es fast 30
Tabletten am Tag. Und so war ich auch: hoch dosiert, ein betäubtes Ding, das wenig mitbekam und nach drei Stunden lesen eine Pause brauchte, vom Etwastun.
Um meinen 34. Geburtstag herum, als ich auf zehn Tabletten am Tag runter war, sah ich in den Spiegel und wusste, was mein Arzt damals gemeint hatte, als er von vorzeitiger Alterung sprach, von
Verfall und Veränderungen, die wir mit der Therapie aufhalten wollten. Mein Gesicht zeigte mir, wie knapp ich Schlimmeren entkommen war, oder besser: ich war endlich fähig, es zu erkennen.
Krankheit hatte nicht gefragt, was sie anstellt. Sie hat Schönheit geraubt, sie hat Haut von Knochen gelöst, sie hat Spuren hinterlassen und zum ersten Mal konnte ich sehen, wirklich sehen, wie
schön ich einmal gewesen sein musste.
Ich wollte nie zu diesen Frauen gehören, die mit Mitte dreißig ihrem zehn Jahre jüngeren Ich nachtrauerten oder besser ihrem drei Jahre jüngeren Aussehen. Ich hatte früher meine Denkfalte schön
gefunden, mich nicht an meinem kleinen Hängekinn gestört, machte es mich schließlich ein bisschen weicher, nahm es dem herzförmigen Gesicht und der starken Nase etwas die Schärfe. Aber nun, in
dieser Form, die mich dort aus müden Augen anblickte, war es nicht auszuhalten. Ich war wieder 14 und hasste das Bild von mir - ein Gefühl, dass ich doch nie wieder erleben wollte.
Mit wem sollte ich darüber sprechen? Meine Familie, meine Freund*innen – sie würden mich nicht ernst nehmen, mich für verrückt halten, das wusste ich. Das müssen sie ja; immerhin lieben sie mich
und finden mich immer schön. Vorsichtig schnitt ich das Thema dennoch an - es kam, was ich erwartet hatte: vehementer Widerspruch! »Du hast dich gar nicht verändert.« »Du bist immer noch schön.«
»Du hast doch echt keinen Grund, dich zu beschweren.«
Doch ich habe mich verändert! Aufgedunsenheit, vorzeitige Alterung meiner Zellen und Haut, Sorgenfurchen, Todesangst ... mein Gesicht hat sich sehr verändert!
Ich hatte keine Lust, diesen Fakt zu diskutieren.
Zum Glück hatte ich auch eine Freundin, eine Endzwanzigerin, die so schön ist, dass es ihr egal sein kann, wie sie aussieht, die von sich behauptet, nicht eitel zu sein, die mich sehr an mich
selbst mit 27 erinnert. Und die mich einfach reden ließ. Und sich sagen ließ: »Ich dachte früher genau wie du. Aber als es dann weg war, war ich schockiert, wie sehr es mir fehlt. Und es stürzte
mich in eine Krise. Und ich hasse es, dass ich es hasse. Ich will mich nicht so fühlen. Ich dachte immer, ich stünde darüber. Aber nun weiß ich, dass ich einst schön genug war, um über solchen
Dingen zu sehen. Seitdem sie fort sind, weiß ich erst, was ich an ihnen hatte.«
Und sie verstand und hatte Verständnis für mich. Das tat gut.
Wie ging es weiter? Ich erkannte an, dass ich eitel bin. Dass ich mir etwas daraus mache, wie mein Gesicht aussieht.
Und als ich mir diese Gefühle erlaubte, erlaubte ich mir auch, nach Lösungen zu suchen, ich erlaubte mir, Investitionen zu unternehmen, um das Bild zu verbessern, um meine Schönheit zu erhalten,
das, was davon noch übrig ist. Ich erlaube mir, darüber zu reden, darüber zu schreiben.
Auch wenn es unwichtig sein sollte, es ist es nun mal nicht. Noch bin ich krank, vielleicht werde ich niemals körperlich gesund. Ich versuche, damit zu leben, dass man mir mein Kranksein immer
ansehen wird, vor allem wenn man mich von früher kennt.
Dass ich nicht mehr die stark-aussehende Amazone bin, die Beschützerin. Dass mir alle meine Schwäche, meine Verletzbarkeit ansehen.
Ich erlaube mir, darauf zu handeln, mehr Zeit für mich zu investieren, mich tageweise zurückzuziehen, mich auszuruhen. Es ist ein Überlebensinstinkt. Dass ich nach diesen Vorkehrungen besser
aussehe, ist ein willkommener Nebeneffekt.