Die englische Autorin Agatha Christie ist durch ihre Bücher reich und erfolgreich und verkehrt nur in den besten Kreisen. Doch sie ist auch seit wenigen Wochen eine geschiedene Frau. Ihr Liebeskummer und die Art, wie Bekannte ihr nach der Scheidung begegnen, machen ihr zu schaffen.
Auf der Suche nach Aufmunterung erinnert sich daran, wie gerne und viel sie als Kind und sehr junge Frau mit ihrer Mutter reiste und beschließt, sich eine Fahrt erster Klasse im legendären Orientexpress zu gönnen.
November 1928. Es ist bei weitem nicht Christies erste Reise in den Nahen Osten, wohl aber die erste in einem dermaßen luxuriösen Zug.
Sie beobachtet die Mitreisenden, spürt einmal mehr die Blicke auf sich – einer alleinreisenden Frau – und macht sich Notizen für ein neues Buch. Die erste Idee für einen weiteren Krimi erwächst, der belgische Detektiv Poirot in der Hauptrolle.
Doch Christies erste Fahrt ist zu aufregend, als dass die Geschichte tiefere Wurzeln schlägt. Die Idee wird von dem Nil, der riesigen Wüste, fremden Kulturen, einer anderen Geschichte und schließlich einem jungen Mann verdrängt, und schlummert somit fast 3 Jahre im Herzen der großen Autorin.
Ende 1931 unternimmt sie - mittlerweile ist es ihr fast schon zur Gewohnheit geworden - eine weitere Fahrt im Orientexpress. Mitten in einem Unwetter hält der Zug wegen einer Gleisüberschwemmung.
Die Weiterfahrt ist für fast 24 Stunden unmöglich, keine Zivilisation weit und breit.
Die Reisenden machen das Beste daraus, genießen die Annehmlichkeiten des Zuges, das Essen, das Miteinander. Reichere und nur weniger gut Betuchte als die Autorin selbst, versammeln sich im Salon
und im Speisewagen, Menschen aus allen europäischen Ländern. Christie macht auch das Beste daraus: ein Buch!
Sie ist allein an ihrem Tisch mit ihren Gedanken und der Geschichte aus dem Orientexpress. Sie sitzt stundenlang im Restaurant. Bei starkem Orientkaffee und feinen Speisen, entwickelt sie den
Krimi um einen grausamen Mord an einem gefürchteten Mann während ein Unwetter den Zug zum Halt zwingt. Und mit ihm viele Tatverdächtige aus vielen europäischen Ländern.
Mord im Orientexpress wird ihr berühmtestes Werk, (Spoiler!) der Plot um einen kollektiven Mord aus kollegialem Zusammenhalt war neuartig und ist mittlerweile tausendfach kopiert.
Das Buch wird in 300 Ländern verkauft, bleibt ein Kassenschlager, egal in welches Medium es übersetzt wird. Der Zauber des Orientexpresses ist in der Popkultur eng verwoben mit Christies Krimi; die Reise in den Luxuswaggons mit exzellentem Personal und dem hochtrabenden Publikum.
Beim Lesen glaubte ich, selbst auf samtenem Polster zu sitzen und im Takt der Fahrt leicht zu schaukeln. Große Autor*innen können das.
Christie hat den Traum einer jeden Autorin gelebt: Bei Kaffee an einem eigenen Tisch einen Roman geschrieben, der sie unsterblich gemacht hat.
Bildquellen:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d4/Agatha_Christie_in_1925.jpg;
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/c/c0/Murder_on_the_Orient_Express_First_Edition_Cover_1934.jpg;
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cf/Agatha_Christie.png