Vorhin, als ich unter den Linden entlangflanierte, ging mir auf, dass ich mich immer mehr von Störfaktoren trenne: langem Haar, Schminke, Kinkerlitzchen, Kleidung die gebügelt werden muss, festen Freunden – alles was zeitaufwendig war und mich so vom Schreiben abhielt. Da verwende ich lieber meine Zeit darauf, mich mit inspirierenden Menschen zu treffen, meine Muskeln zu stärken oder Kultur zu schaffen. Nie hätte ich geglaubt, dass mir meine Eitelkeit so wenig fehlen würde – momentan existiert sie nur in meinem Kleidungsstil, doch mehr noch und vor allen Dingen in meiner Wortwahl und hat dort offensichtlich Einiges zu kompensieren. Und wie bei den letzten Trennungen (z.B. Blusen, die ich bügeln muss; Liebhabern) stelle ich auch bei der fehlenden Haarlänge fest: Mit jedem Tag fühle ich mich freier, kraftvoller und mutiger.
Und ihr müsstet mal sehen wie quirlig die kleinen Locken herumspringen, wie die Wellen im Zug meines Laufes wirbeln und wie gerne der Wind – die Luft mein Element - mit ihnen spielt, jetzt da sie frei sind. Sie sind kein Störfaktor mehr, der mir ins Gesicht oder in den Mund fliegt, der geschlossen und schwer auf meinem Haupt wiegt. Da ist kein Verheddern mehr, wenn mir jemand meinen allzu empfindlichen Kopf krault. Ich werde keine geliebte Person mehr davon abhalten müssen, mir leidenschaftlich ins Haar zu fassen, weil ich das Ziepen fürchte!
Ich hatte nicht vermutet, dass die Reaktionen auf meinen neuen Kurzhaarschnitt so durchweg positiv ausfallen würden – vor allem von meinen männlichen Mitmenschen. Mit der überschwänglichen Begeisterung meiner Freundinnen und Kolleginnen hatte ich aber schon gerechnet: mir wurde Bewunderung ausgesprochen für meinen Mut; Neid, weil ich nun ja so viel Zeit und Mühe sparen würde und schließlich, dass mir diese Frisur viel ähnlicher sähe: fröhlich, natürlich, energiegeladen und vor allem verspielt.
Entweder sagen die Herren meines Kreises, ich sähe so frecher und nach wie vor schön aus oder sie warten ihre Äußerung noch ab, da sie die Erfahrung machten: „Wenn eine Frau sich das Haar von so lang auf so kurz schneiden lässt, ist irgendwas im Argen!“
Da nutzen keine Versicherungen meinerseits: „Nein, ich hab wirklich niemanden erschossen, keine Bank überfallen, kleine Tiere gequält oder so etwas in der Richtung!“
„Aber warum dann?“
„Mir war danach!“
Und zuhauf kam die Bemerkung: „Das wird aber ewig dauern, bis diese Länge wieder hergestellt ist!“
Ich entgegne dann: „Ich hab doch gar nicht vor, wieder so lang zu werden!“
Daran müssen wir uns wohl alle erst gewöhnen.