Dass du fort bist, habe ich eben erfahren. Zum Glück von dem Menschen, der mir am allernächsten steht.
Sofort spürte ich, wie meine Seele alles an Schutzschilden aufbegehrte, was ihr zur Verfügung stand. Uns Irdischen hilft es in solchen Momenten, sich tröstenden Weisheiten ins Hirn zu rufen: Zu
irgendwas war es gut. Du hattest deine Aufgabe bereits erfüllt. Du bist nur nach Hause gegangen.
Ich hoffe es so sehr für dich!
Ich weiß nicht einmal, ob du etwas von all dem Glauben hältst, den ich nun aufbringe, um mir Ferne nahe zu machen. Überhaupt wusste ich nicht so viel von dir. Selten trafen wir in diesem Leben
wirklich physisch aufeinander, eigentlich war es wohl nur das eine Mal vor einigen Jahren - Nur wir zwei, leckere Speisen und sehr viel Alkohol. Ich war so euphorisch, inspiriert und geladen und
wollte mehr von davon dir.
In all der Zeit habe ich darauf gewartet, dass sich so ein Treffen wiederholt. Mich auf dich gefreut. Doch das war unmöglich alles, dass uns verband. Ich maße mir an, dass auch ich dir eine
nahestehende Freundin war, denke, dass du kaum leichtfertig Geheimnisse beichtest.
Als ich später die Kerze anzündete und höhere Mächte darum bat, dir einen sicheren Weg zu ebnen, bricht es aus mir hervor. Ich stottere beim Beten, flenne Sturzbäche und bringe es doch zu Ende.
Danach ist Leere. Fragen bleiben. Woher? Wann?
Die Tränen der Trauer brennen auf meinen Wangen. Das habe ich vergessen, also wird mir bewusst, dass ich in den letzten Jahren wegen Nichtigkeiten geheult haben muss. Überhaupt, was ist wichtig?
Ich bin keine 30 und jetzt schon verlassen mich Freunde derselben Generation. Einfach so.
Trotzdem ich dieses Thema von mir schob, hielt ich mich bis eben für erwachsen, ernsthaft und ausgeglichen. Da tritt die nächste Reifeprüfung in mein Leben und ich will mich ängstlich
zusammenkauern, wie ein getretener Hund. Wehklage wie ein Kind mit aufgeschlagenem Knie.
Ist es witzig, dass ich in den letzten beiden Tagen an dich gedacht habe? Es hilft mir ein wenig, bei dem Gedanken, dass du ganz allein in der Wohnung warst. Denn ich werde nicht die Einzige
gewesen sein, bei der du dich in Erinnerung riefst.
Du hast mir damals gesagt: »Tu es! Verschwende dein Talent nicht!« und ich sagte: »Das gilt auch für dich, Madame!«
Du lachtest es weg, aber du warst ein Grund, warum ich es getan habe. Weißt du das überhaupt?
Warst du dir deiner Weisheit eigentlich bewusst?
Hat dir je jemand gesagt, wie klug, wertvoll und witzig du bist?
Ich hasse mich ein bisschen, weil ich denke, ich habe es dir nicht oft genug gesagt.
Ich bewundere dich!
Du bist der erste Mensch, dem ich so etwas wie einen Nachruf schreibe. Und ich lerne gerade: Es hilft tatsächlich. Ein wenig jedenfalls.
Ich will ihn in die Welt entlassen, damit er vielleicht von Menschen gefunden wird, denen häufigere Treffen mit dir vergönnt waren.
Ich glaube übrigens auch an Wiedergeburt und flüstere zu deiner Seele: »Tu es! Verschwende dein Talent nicht!«
Ich hoffe, eines Tages wird sie mir antworten.